Montag, 24. November 2014

31: Rettet das Rumantsch..?

Der Kommentar ist eine tolle Textsorte. Da darf man als Journalist den Leuten zur Abwechslung mal so richtig die Meinung geigen. Und ich habe dereinst sogar einen Kommentar schreiben dürfen. Für ein Dossier rund um Sprache und Kultur des Kantons Graubünden, das wir an der Hochschule verfassten, sammelte ich zunächst Daten zur Sprachverwendung des Rätoromanischen und kommentierte den entsprechenden Bericht anschliessend. So stand es im Jahr 2000 (von da stammten vor zwei Jahren die aktuellsten vollständigen Daten) um das Rätoromanische:


Rang 10. Nicht nur die drei anderen Landessprachen, sondern ganze 6 weitere Varietäten werden in der Schweiz häufiger gesprochen. Zunächst war meine undifferenzierte Haltung: "Naja, wenn das keiner mehr benutzt, dann lasst es halt sterben." Die habe ich eigentlich immer noch. Ich musste allerdings einen kritischen Kommentar verfassen. Und beim Planen fand ich plötzlich Gefallen an der Vorstellung, mich gegen das Verschwinden der rätoromanischen Sprache auszusprechen. Ich schrieb und schrieb, ich schrieb mich in einen regelrechten Rausch, und ich bin durchaus glücklich mit dem reisserischen Text, der am Ende entstanden war. Bitte sehr:

Das Aussterben des Rätoromanischen
Die Zahlen zeigen es unmissverständlich: Die rätoromanische Sprache fristet mittlerweile ein beispielloses Aussenseiterdasein – sogar in ihrem Heimatkanton Graubünden. Welche Überlegungen löst diese Entwicklung bei kritischen Denkern aus? Im Folgenden ein Kommentar, der versucht, aufzuzeigen, was dabei auf dem Spiel steht, und welche Gefahren der Dynamik hinter diesem Prozess innewohnen.

Es lebe der Pragmatismus
Das Rätoromanische befindet sich auf dem Rückzug. Langsam verabschiedet es sich aus der Welt, wie der Röhrenfernseher, das Handy mit Tastatur und vielleicht sogar das Bankgeheimnis. Bei letzterem allerdings wird erbittert gegen das Verschwinden angekämpft. Es handle sich immerhin um ein Schweizer Markenzeichen, eine wertvolle Einzigartigkeit, auf die wir stolz sein könnten. Etwas, das die Schweiz zu dem mache, was sie sei – regelrechtes Kulturgut! So etwas ist doch schützenswert, nicht? Anscheinend nicht immer.

Ist das Rumantsch etwa kein „echtes Stück Schweiz“, kein kostbares Einzelstück, das einen nicht unerheblichen Farbton zu unserer bunten Kulturlandschaft beiträgt? Offenbar wird dieses Thema mit grosser Gleichgültigkeit und viel Pragmatismus behandelt. Nehmt lieber Deutsch, das ist praktischer. Bringt euren Kindern kein Rätoromanisch bei, das sorgt nur für Verwirrung und hat keinerlei praktischen Nutzen. Man muss sich ganz einfach fragen: Ist eine Sprache nicht mehr als ein Werkzeug für Kommunikation? Ist sie nicht Kultur, Identität, ein Stück Heimat?

Wenn die Leute eine Sprache zum Mittel zum Zweck herabstufen und  letztlich dazu bereit sind, sie der Einfachheit halber aussterben zu lassen, dann ist das bedenklich. Das Regime des spanischen Diktators Francisco Franco erhob seinerzeit das Kastilische zur einzigen Landessprache und untersagte die Verwendung aller übrigen Varietäten. Die aktuellen Entwicklungen scheinen zu einer unbewusst voranschreitenden Ausrottung des Rätoromanischen zu führen, die in ihren Auswirkungen letztlich einem Verbot nahezu gleichkäme.

Entwicklungen wie diese, der die Bündner Sprache zum Opfer zu fallen droht, sind charakteristisch für die Megatrends der Zukunft, die sich heutzutage am stärksten in der Technik zeigen: Miniaturisierung, Funktionsintegration – es muss alles schneller, einfacher, unkomplizierter gehen. Denken Sie an Geräte wie das iPhone. Es vereint auf engstem Raum ein Telefon, einen Taschenrechner, einen MP3-Player, eine Fotokamera und noch vieles mehr. Man braucht weniger Geräte und hat mehr Platz. So zeigen sich diese Trends in der Technik. Es besteht nun die Tendenz, dass diese ihren Einfluss im grossen Stil ausweiten und auch andere Bereiche des menschlichen Lebens beeinflussen. So gerät über kurz oder lang die kulturelle Vielfalt in die Schusslinie, in diesem Fall die sprachliche Diversität – sie erhöht den Aufwand für Kommunikation und somit auch den Aufwand in allen Bereichen, in denen kommuniziert wird. Eine Reduktion aufs Deutsche würde den Trends entsprechend vieles einfacher, praktischer gestalten. Daraus könnte dem Rätoromanischen diese Bedrohung erwachsen sein, die sich schleichend vergrössert hat. Bald ist es wahrscheinlich zu spät für Rettungsaktionen.

Möglicherweise wird die Germanisierung des Bündnerlandes in absehbarer Zeit nicht mehr zu bremsen sein. Wie geht es dann weiter? Man könnte dann irgendwann auch darauf kommen, dass das Französische und das Italienische dem Deutschen in der Schweiz im Weg stehen. Wenn diese beiden abgeschafft wären, könnte man zum Beispiel endlich Schluss machen mit all den unübersichtlichen dreisprachigen Produktbeschriftungen! Und wozu braucht jeder deutschschweizerischer Dialekt seine eigenen, charakteristischen Ausdrücke? Ein Vereinheitlichungsprogramm würde vieles vereinfachen. Irgendwann wäre die Schweiz dann ein wahrhaft einheitliches, unkompliziertes Land. Tod der Vielfalt, es lebe der Pragmatismus.

Was für eine aufregende Vision! Ist es das, was wir letztlich anstreben, worauf unsere gesamte Kultur hinarbeitet, bewusst oder unbewusst? Niemand scheint diese Frage zu stellen. Die Antwort könnte erschreckend ausfallen. Beschäftigen wir uns mit dem Problem des übersteigerten Pragmatismus, und fangen wir am besten gleich exemplarisch bei der Bedrohung des Rätoromanischen an. Es gibt ein Kulturgut zu retten und zugleich noch etwas über die postmoderne Gesellschaft zu lernen.

Denken Sie drüber nach. Meinungen in den Kommentaren sind erlaubt.

-Der Sprachbeschreiber

Montag, 10. November 2014

30: Inspiriert vom Känguru #2: So geht das Sprichwort nich'!

"Also?", fragt das Känguru. "Was?", frage ich. "Ich hör' dich nicht singen", sagt das Känguru. "Das liegt daran, dass ich nicht singen werde", sage ich. "Wieso denn nich'?", fragt das Känguru. "Weil ich gar keine Lust auf deine blöde Geschichte habe", sage ich. "Na na, was is' uns denn für eine Maus über die Leber gelaufen?", fragt das Känguru. "Erstens is' uns gar nichts über die Leber gelaufen, und wenn uns was über die Leber gelaufen wäre, dann wäre das zweitens eine Laus und keine Maus gewesen". "Wieso?", fragt das Känguru. "Weil man das eben so sagt, verdammt nochmal, eine Laus läuft über die Leber, eine Laus, keine Maus!". "Was soll denn das für einen Sinn ergeben?", fragt das Känguru. "Was weiß ich", rufe ich. "So geht das Scheiß-Sprichwort nun mal! Eine Laus läuft über die Leber!". "Diese Antwort befriedigt mich nicht", sagt das Känguru. "Man darf nie aufhören, alles kritisch zu hinterfragen!". "Ah ja?", sage ich. "Dann hinterfrag mal das: Fick dich!". "Das is' wirklich keine Art", sagt das Känguru. Schweigen.
(Aus: Kling, Marc-Uwe (2009): Die Känguru-Chroniken)



Es gibt, wie Ihnen vielleicht bekannt ist, verschiedenste Dinge, die mich gelegentlich so ein klein wenig stören können, wenn ich andere reden höre. Eins davon ist, wie bei unserem guten Marc-Uwe hier, ungenaues Zitieren. Es kommt immer wieder vor: Jemand zitiert etwa eine Stelle aus einem guten Buch oder Lied oder ein Sprichwort - was an und für sich meist schön und gut ist, da es die Sprache bunter und reichhaltiger macht - gibt aber nicht den genauen Wortlaut wieder. Und warum stört mich das? Weil coole Stellen aus guten Büchern oder Liedern und etablierte Sprichwörter aus bestimmten Gründen genau so formuliert wurden, wie sie eben formuliert sind. Das ist zu einem grossen Teil für Wirkung und Erfolg solcher Texte verantwortlich. Und über diese Wirkung und die Wege, die dort hin führen, möchte ich in diesem Blogeintrag schreiben. Ich spreche von der "Redekunst", der Rhetorik. Und mit dieser müssen wir uns kurz auseinandersetzen, wenn wir die Frage des Kängurus befriedigend beantworten wollen.

Rhetorische Mittel beeinflussen unsere Wahrnehmung eines Textes. Sie stimulieren gewissermassen den Verstand und fördern Lesegenuss und Einprägsamkeit. Reime empfinden wir etwa als schön und einprägsam. Einfaches Beispiel: Songtexte. Wenn die sich nicht reimen würden - wären Sie dann genauso begeistert von Ihrem Lieblingssong? Weiteres Beispiel: Eselsbrücken. Die soll man sich ja merken können. Wenn Sie die studieren, wird Ihnen vornehmlich der Reim begegnen. Was rhetorische Mittel anbelangt, gibt's da aber noch so einiges mehr. Auf der höheren Ebene finden sich da unter anderem der Vergleich, die Wiederholung, die Verdeutlichung, das Zitat, die Steigerung, der Gegensatz oder natürlich die rhetorische Frage. Inhalte aus dem Rhetorikarsenal auf einer tieferen Ebene zeigt die folgende Liste aus einer ZHAW-Textanalysevorlesung:


Ob bezaubernde Gedichte, fesselnde Romane oder beeindruckende Reden - erfolgreiche wirkungsvolle Texte bedienen sich stets eines gewissen Masses an rhetorischen Mitteln. Meine kommunikationswissenschaftliche Arbeit im vierten Semester hat am Beispiel von Predigten bestätigt, dass der Einsatz rhetorischer Darstellungsmittel ein entscheidender Faktor ist, wenn es darum geht, ob und wie Leute die wichtigsten Aussagen eines Vortrages verstehen. Unser Gehirn scheint Freude zu haben an solchen Mitteln, vielleicht deswegen, weil es dabei Muster mit einer gewissen Ordnung in der sonst so beliebigen Sprache erkennen kann. Man kann seine Aussagen dem Gehirn so quasi sprachlich unter die Nase halten, sie ihm schmackhaft machen und ihm einen Moment lang die Gelegenheit offerieren, sie auf seine Weise aufzunehmen.

Der "Witz" hinter dem beim Känguru erwähnten Sprichwort liegt nun meines Erachtens in der Alliteration: Laus und Leber können's gut zusammen. Deswegen läuft da keine Maus, kein Wildkaninchen und kein Okapi. Dennoch muss ich dem Känguru in puncto Hinterfragen Recht geben - inhaltlich ist die ganze Sache damit noch nicht so recht geklärt. Meine Recherchen ergaben, dass in früheren Zeiten die Leber als Sitz der Gefühle angesehen wurde. Deswegen stellte man sich bildhaft vor, dass da etwas drüber"gelaufen" sein müsse, wenn jemand griesgrämig war. Man benutzt die Redewendung auch nur dann, wenn jemand ein klein wenig mies gelaunt ist; entsprechend ist die Grösse des Tiers ausgefallen.

Na, was gelernt? Mal sehen, wie's beim Känguru aussieht...

"Biste eingeschnappt?", fragt das Känguru. "Wieso?", frage ich eingeschnappt. "Wieso sollte ich eingeschnappt sein?". "Weiß nich'", sagt das Känguru."Aber du wirkst wie eine kleine beleidigte Teewurst." "Leberwurst." "Nein nein, Teewurst, man sagt Teewurst." "Tut man nich'". "Doch." Ich verdrehe die Augen. "Na von mir aus", sage ich. "Dem Klügeren wird nachgegeben!", sagt das Känguru. "So geht das Sprichwort nich'!". "Doch." "Nein!" "Doch." "Wie du meinst..." "Siehst du?".
(Aus: Kling, Marc-Uwe (2014): Die Känguru-Offenbarung)

-Der Sprachbeschreiber